Lexikon
Der sechste Sinn der Fische
Hunderte Fische schwimmen friedlich in dieselbe Richtung. Da stößt von der Seite ein Raubfisch in den Schwarm. Der Schwarm teilt sich blitzschnell, wechselt plötzlich die Richtung, schwenkt steil nach oben zur Wasseroberfläche und genau so schnell wieder zurück. Zusammenstoß, Unfall, Stau - Fehlanzeige! Der Schwarm reagiert so perfekt aufeinander abgestimmt, als wäre er ein einziger Körper. Wie machen die Fische das bloß?
Blitzmerker im Ozean
Verantwortlich dafür, dass im Fischschwarm niemand zusammenstößt, ist das Seitenlinienorgan - der sechste Sinn der Fische. Es liegt direkt unter ihrer Haut und zieht sich vom Kopf bis zur Schwanzspitze an beiden Körperseiten entlang. Mit ihm erspürt der Fisch kleinste Veränderungen in der Wasserströmung. Da jede Bewegung im Wasser Impulse erzeugt, merkt ein Fisch sofort, wenn sich von der Seite ein Feind nähert. Er reagiert blitzschnell - und sein Nachbar schwimmt hinterher. So setzt sich die Bewegung im Schwarm immer weiter fort, in atemberaubender Geschwindigkeit.
Auf Empfang
Raubfische nutzen ihren sechsten Sinn dazu, ihre Beute aufzuspüren. Denn mit dem empfindlichen Seitenlinienorgan können sie schwächste Signale anderer Fische empfangen. Selbst wenn die Beute regungslos in ihrem Versteck verharrt oder sich in den Sand eingräbt, nützt ihr das nichts. Ihr Gegner hat längst ihren Herzschlag gespürt - und schwimmt zielsicher auf sie zu.
Wie aus dem sechsten Sinn ein bionischer Sensor wird
Dass Fische feinste Unterschiede in der Wasserströmung spüren können, fasziniert auch die Wissenschaft. Biologen untersuchten das Seitenlinienorgan in Experimenten und unter dem Mikroskop und bekamen heraus, wie es funktioniert.
Besonders findige Techniker der Universität Bonn haben mit den Erkenntnissen aus der biologischen Forschung jetzt einen Sensor gebaut. Er ist winzig klein, aber hoch empfindlich und kann Veränderungen der Druckverhältnisse in Flüssigkeiten spüren. Damit kann man zum Beispiel winzige Löcher in Rohrleitungen finden, durch die gefährliches Gas oder wertvolles Trinkwasser austreten könnte. Der Sensor merkt nämlich, wenn sich die Strömung in dem Rohr minimal verändert. Für die Erfindung wurden die Wissenschaftler sogar ausgezeichnet.